Offener Brief des hessische Landesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbelvon Thorsten Schäfer-Gümbel an die Parteispitze der SPD
„An die SPD-Bundestagsfraktion
Herrn Vorsitzenden Dr. Peter Struck, MdB
An den SPD-Parteivorstand
Franz Müntefering z.K.
per E-Mail
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Peter,
ich hatte Dich bereits vor einigen Wochen auf meine sehr kritische Meinung zum Vorgehen in Sachen Internetsperren hingewiesen. Aus diesem Grund habe ich in den vergangenen Wochen einige sachdienliche Hinweise gegeben, die eine Erweiterung der Debatte ermöglichen sollten. Den Antrag zum Bundesparteitag, dass das Gesetz nicht verabschiedet werden sollte, fand meine ausdrückliche Unterstützung. Der Beschluss des Parteivorstandes in dieser Angelegenheit ist zwar ein großer Fortschritt und hat einige Probleme entschärft, aber die grundsätzliche Frage nach den Internetsperren ist damit nicht geklärt worden. Sowohl das Verfahren als auch das Ergebnis in den Verhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU überzeugten mich nicht. Sowohl die strafrechtlichen Wirkungen für den Vorrang der Löschung kinderpornographischer Inhalte sind unbestimmt, die Strukturen sind auf eine wirkliche und systematische Löschung nicht ausgelegt. Das muss aber unser Ziel bleiben! Ähnlich unbestimmt ist die Kontrolle des BKA durch das Gesetz. Daher halte ich das Gesetz nicht für verabschiedungsfähig.
Die gestern veröffentlichte Erklärung des Online-Beirats der SPD, die ich nachfolgend auszugsweise dokumentiere, trifft inhaltlich meine Zustimmung. Dort heißt es wörtlich:
„1. Es handelt sich um ein Gesetz, das einen Zensurmechanismus errichtet. Die Angst der Bürger, dass dieser Mechanismus missbraucht wird, ist angesichts der vielen Forderungen der Ausdehnung der Netzsperren hoch berechtigt…
2. Der notwendige Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie muss intensiv und vorbehaltlos geführt werden, aber mit effektiven Mitteln. Die Netzsperren sind erwiesenermaßen ineffektiv und zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit grundgesetzwidrig. Sie berücksichtigen nicht, dass Kinderpornographie im Internet fast ausschließlich in geschlossenen Nutzergruppen wie Foren oder Chat-Systemen verbreitet wird. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion hat das Wirtschaftsministerium bestätigt, dass die Bundesregierung keine Erkenntnisse über die internationale Verteilung von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten hat. Auch liegen keine Informationen vor, in welchen Staaten Kinderpornografie nicht verfolgt wird.“
Die Argumente des Online-Beirates sind in diesen Punkten stichhaltig und verweisen auf die Problemlage. Ich will im Nachgang zu meinem Brief nochmals in aller Klarheit betonen, dass die abscheulichen Inhalte aus dem Netz müssen. Dazu bedarf es einer effizienten und effektiven Strafverfolgung sowie einer Löschung der Inhalte.
In jedem Fall wird die Debatte mit einer Entscheidung des Bundestages nicht beendet sein, die offenen Fragen müssen geklärt werden. Deshalb bitte ich nochmals die Argumente zu überprüfen und eine Beschlussfassung des Gesetzes auszusetzen.
In diesem Sinne verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Thorsten Schäfer-Gümbel“
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